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Ehemaligentreffen Gymnasium Marienberg 2022

olaf gruschka ehemaligentreffen (1)
Datum:
13. Juni 2022

Das diesjährige Ehemaligentreffen des Gymnasium Marienberg wurde Corona bedingt vom März in den Juni verschoben. Es fand am Freitag, dem 10.06.2022 in der Schule statt.

In der Fülle der Erinnerungsfragmente traf man sich auf der Suche nach Mitschülerinnen und bekannten Baulichkeiten, um Erinnerungen, Gedanken, Bilder und Geschichten auszutauschen. Bei diesen teils persönlichen und kollektiven Erinnerungen halfen Herr Keßler und Frau Dr. Kippels sowie die anwesenden Lehrkräfte erstmalig wieder nach drei Jahren.

Es wurde viel erzählt, denn Erfahrung, die von Mund zu Mund gehe, so Benjamin, sei die Quelle, aus der alle Erzähler geschöpft hätten. Beim diesjährigen Treffen begegneten sich zwei archaische Stellvertreter des Erzählers: das sesshafte Lehrpersonal und die abgewanderten Schülerinnen. Die Schülerinnen wussten Erlebnisse aus außerschulischen Bezügen wie andere Perspektiven zu artikulieren, der geschichtliche Ort und das eingebundene Lehrpersonal trugen nicht nur mit ihrer Person, auch mit Erinnerungen Überlieferungen hinzu.

Die volle Präsenz erhalte der Erzähler nur, so Benjamin, wenn er beide Typen vergegenwärtigt. Wenn einer unterwegs ist, dann wisse er etwas zu erzählen. Beim einen seien es die Überlieferungen und beim anderen seien es die Berichte aus entfernteren Bezügen. Eine solche Durchdringung beider Erzählertypen ereignete sich am 10.06.2022 im Innenhof des Gymnasiums Marienberg. Hier haben eben das sesshafte Lehrpersonal und die abgewanderte Schülerinnenschaft im gleichen Innenhof zusammengestanden, erzählt und beratschlagt.

olaf gruschka ehemaligentreffen (2)

Der der Erzählung immanente Rat muss auf das Gegenüber zugeschnitten sein, was nur in der kontextuellen Situation des Erzählens möglich ist. Es können kleinste synästhetische Wahrnehmungen, Blickkontakte oder auch nur das Timing der Erzählung sein. Der Erzähler ist ein guter Erzähler, wenn er das Dispositiv bereitet, das dem Gegenüber ermöglicht, seine Lage zu Wort kommen zu lassen, in einen hermeneutischen Prozess einzutauchen. Rat, der in den Stoff gelebten Lebens eingewebt wird, ist Weisheit. Die Kunst des Erzählens neigt sich aber ihrem Ende zu, weil die epische Seite der Wahrheit, die Weisheit ausstirbt.

Benjamin kennzeichnet diesen Prozess nicht als Verfallserscheinung der Moderne, vielmehr sei es eine Begleiterscheinung säkularer geschichtlicher Produktivkräfte, die die Erzählung ganz allmählich aus dem Bereich der lebendigen Rede entrückt habe. Man sitze eben nicht mehr zusammen um zu erzählen; es würden keine Wahrheiten mehr im Gespräch weitergereicht. Die Fähigkeit, Ratschläge im verständigen Gespräch zu erteilen und in das Leben des Gegenübers einzuweben sterbe aus.

Schule und Schülerinnen, Lehrerinnen, Lehrer und ehemalige Kolleginnen und Kollegen standen beisammen und wussten sich viel zu erzählen, das im Miteinander auf das Gegenüber zugeschnitten war. Hierbei trumpfte die hohe Schule der Erzählung wider die bloße Info, die immer nur einen Anhaltspunkt für das Nächste liefert und der unmittelbaren Überprüfung anheimfällt.

Im Kontext der rahmenden Baulichkeiten Marienbergs wurde gegenseitig das Außerordentliche, das Wunderbare mit der größten Genauigkeit erzählt, ohne sich dem Gegenüber aufzudrängen. Es ist bei solchen Treffen immer freigestellt, sich die Sache zurechtzulegen, wie man sie versteht, und damit erreicht das gegenseitig Erzählte eine Schwingungsbreite, die der Information fehlt. Die Information hat ihre Relevanz in dem Moment, wenn sie neu ist. Sie liefert sich dem Augenblick aus und vergeht. Die Erzählung hingegen bewahre ihre Kraft und sei noch nach langer Zeit der Entfaltung fähig.

In dieser abendlichen Auszeit des Ehemaligentreffens ähnelte das Erzählte den Samenkörnern, die jahrtausendelang luftdicht verschlossen in den Kammern der Pyramiden gelegen und ihre Keimkraft bis auf den heutigen Tag bewahrt haben.

Olaf Gruschka

Ehemaligentreffen 2022

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