,,Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist …“


So warnt der Talmud, die Auslegung der religiösen Gesetze des Judentums. Damit das nicht passiert, haben Schülerinnen des Gymnasiums Marienberg die Geschichte von Anna und Erna Stein erforscht. Anna (*1915) und Erna (*1917) sind zwei Jüdinnen, die in der Zeit des Nationalsozialismus aus Neuss fliehen mussten, nachdem sie zuvor unsere Schule besucht hatten. Jetzt übernehmen Marienbergerinnen die Patenschaft für die Stolpersteine von Anna und Erna Stein.
Messingsteine liegen auf dem Gehweg vor den Häusern, in denen einst Menschen wohnten, die der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer fielen. Der Künstler Gunter Demnig verlegt die handgefertigten Steine, um die Erinnerung an sie weiter lebendig zu halten. Die Stolpersteine enthalten lediglich Geburtsjahr, Todesjahr und Todesort bzw. das Jahr der Flucht sowie das Land, in das sie geflohen sind. Sie sollen damit die Vorübergehenden gedanklich über ein menschliches Schicksal ,,stolpern“ lassen. Jeder Stolperstein lädt ein, dass wir innehalten und uns an die Lebenswege, Hoffnungen und Schicksale all jener Opfer erinnern.
Nicht nur mit Anna und Erna Stein haben sich die Schülerinnen des Q2-Religionskurses von Frau Rieks befasst, sondern auch mit dem Schicksal von Max Stein (*1911). Seine Biographie war im vergangenen Jahr von Schülern des französischen Lycée Jean-Baptiste de Baudre (Agen, Region Nouvelle Aquitaine) erforscht worden. Schüler der Gesamtschule Nordstadt erinnerten an Walter Stein (*1912). Allen vier Geschwistern gelang in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre die Emigration. Anna und Erna gingen nach England, Max nach Frankreich und Walter nach Palästina. Die Eltern blieben zurück. Sie wurden 1941 wurden in das Ghetto nach Litzmannstadt/Łódź deportiert. Ihr genauer Todestag ist nicht bekannt, sie wurden 1945 für tot erklärt.
Nach ihrer Auseinandersetzung mit den Formen des Antisemitismus in Geschichte und Gegenwart, dem Putzen von Stolpersteinen und ihrer Mitwirkung am Gedenken an die Opfer der Shoa in Neuss schloss sich so für diese Schülerinnen ein Kreis. Diejenigen, die von Frau Dr. Schaller im Stadtarchiv Neuss lernten, wie man die Biographie von verfolgten Menschen erforscht, danken herzlich für diese Unterstützung. Sie fühlen sich mit der Familie Stein nun sehr verbunden und freuen sich, etwas dazu beizutragen, dass man sich an sie auch in Zukunft erinnern wird. Sie haben einen Flyer erarbeitet, auf dem sie ihre Forschungsergebnisse zusammenfassen. Diese Ergebnisse gehen auch in eine Datenbank über die Opfer des Holocausts ein, deren Pflege mit zu Gunter Demnigs Kunstprojekt gehört.
Nun wird in der Kapitelstraße 15 der sechs Mitglieder der Familie Stein gedacht, die hier ihren letzten Wohnsitz hatte. Über 100.000 Steine erinnern in ganz Europa an die Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden: Jüdinnen und Juden, Kommunistinnen und Kommunisten, Widerstand Leistende, Homosexuelle, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas … Diese Erinnerung ist heute besonders wichtig, weil in unserer Gesellschaft Diskriminierung und Rassismus wieder normal und akzeptiert scheinen. „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“, warnt der italienische Chemiker und Holocaust-Überlebende Primo Levi 1986. Stolpersteine rufen uns dazu auf, dass wir – auch im Privaten, auch in der Schule – nicht ausgrenzen, denn damit begann der Weg zu den Morden in der Nazizeit. Stolpersteine stellen auch die Frage, was wir konkret für diejenigen tun, die heute ausgegrenzt werden. Stolpersteine bleiben somit eine Provokation.