Zum Inhalt springen

Zwischen Autonomie und Fürsorge

Wie die St. Augustinus Gruppe Suizid-Prävention versteht
Sterbebegleitung 2023 4-2
Datum:
7. Jan. 2024

Am Freitag, den 08.12.2023 waren die Schülerinnen zu einem Vortrag und einer Diskussion über ein sehr ernstes Thema geladen: Wie geht die christlich-gemeinnützige Augustinus-Gruppe, zu der allein in Neuss das Johanna-Etienne-Krankenhaus, eine psychiatrische Klinik (Alexius/Josef Krankenhaus), viele Einrichtungen der Seniorenhilfe und der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen sowie auch das Augustinus Hospiz gehören, mit dem Wunsch von Patienten, Bewohnerinnen oder Klientinnen um, ihr Leben zu beenden?

Suizid ist bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts keine Straftat, Hilfe beim Suizid im Einzelfall auch nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz aufgehoben, zugleich aber auch geeignete Regelungen zum Schutz des Lebens sowie Präventionsmaßnahmen angemahnt. Nach dem christlichen Menschenbild erhalten Menschen ihr Leben aus Gottes Hand und nur er nimmt es zurück. Wie geht ein christlich geprägter Träger mit diesen Spannungen um?

Herr Dr. Franz-Josef Esser, Leiter des „Klinischen Ethikkomitees der St. Augustinus Gruppe“, sorgte in seinem Vortrag für begriffliche Klarheit, erklärte die Rechtslage in der Bundesrepublik und präsentierte die Position der Augustinus Gruppe. Grundlage dafür ist ein Menschenbild, wonach dem Menschen auch bei eingeschränkter Fähigkeit zur Ausübung seiner Autonomie immer wesenhaft Menschenwürde zukommt und wonach Menschen ihre Autonomie immer nur in Beziehungen verwirklichen können. Das ist für Babys leicht einsichtig, gilt aber in jeder Phase des Lebens, auch in der letzten. Daher gehört es zu den ethischen Grundsätzen der Augustinus Gruppe, keinen Menschen allein zu lassen, auch und gerade nicht Sterbende oder Sterbewillige. Die Mitarbeiter beteiligen sich daher weder an der Durchführung noch an der konkreten Organisation von Suizidassistenz. Sie beraten Menschen, die einen Sterbe- oder Suizidwunsch äußern, ergebnisoffen und lebensbejahend, zeigen ihnen die Möglichkeiten der medizinischen Symptomkontrolle und der ganzheitlichen (palliativ-)medizinischen Versorgung und begleiten sie liebevoll im krankheitsbedingten Sterbeprozess. Wenn es denn zu einem assistierten Suizid in einem privaten Wohnraum in einer der Einrichtungen der St. Augustinus Gruppe kommen sollte, stehen sie dem Bewohner auch weiterhin mit Fürsorge und Zuwendung bei, respektieren ihn in seinen autonomen Entscheidungen und begleiten ihn im Sinne einer liebevollen Sterbebegleitung, ohne sich selbst an der Durchführung der Suizidassistenz zu beteiligen.

Herr Christian Wiesner konnte aus seiner Erfahrung als Pfleger auf Intensiv- und Palliativ-Stationen, als Pflegedienstleiter im Krankenhaus und als Einrichtungsleiter des Augustinus Hospizes dafür konkrete Beispiele schildern. Das Augustinus Hospiz, 1995 gegründet, bietet Lebensraum für schwerstkranke Menschen mit fortgeschrittenen und unheilbaren Erkrankungen. Neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung wird ihnen ein selbstbestimmtes, beschwerdefreies und würdevolles Leben ermöglicht, und zwar unter Einbezug der Angehörigen und auch mit Begleitung für die trauernden Hinterbliebenen.

Die Marienberger Schülerinnen folgten dem Vortrag konzentriert und interessiert. Manches kannten sie aus dem Religionsunterricht der Q2, in dem ethische Fragen am Lebensende besprochen werden. Die beiden Referenten zeigten nun, wie die ethischen Grundsätze, die die katholische und evangelische Kirche in ihrem gemeinsamen Positionspapier „Gott ist ein Freund des Lebens“ von 1989 dargelegt haben, im konkreten Handeln eines Anbieters von Gesundheits- und Pflegedienstleistungen umgesetzt werden. Die Fragen und Anliegen der Schülerinnen betrafen den Umgang mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid, der von jungen Menschen geäußert wird, und die Möglichkeiten, in als unerträglich empfundenen Krankheitssituationen Hilfestellung zu leisten. Sie thematisierten auch ihre persönlichen Erfahrungen mit Krankheiten, Sterben und Zweifeln am Lebenssinn, die sie u.a. beim Sozialpraktikum in Einrichtungen der St. Augustinus Gruppe gemacht haben. Immer wieder betonten Esser und Wiesner das Anliegen, Menschen mit Sterbe- oder Suizidwunsch neue Hoffnungsperspektiven für das Leben zu ermöglichen und verwiesen auf die Zusammenarbeit der St. Augustinus Gruppe mit Beratungsstellen wie der Telefonseelsorge (Telefonnummer 0800 -111 0 111 und 0800 -111 0 222) und >Online- und >Mail-Beratungen für junge Menschen.

Annette Rieks